Samstag, 6. März 2010

Die Woche nach dem Erdbeben in Chile

Sonntagmorgen nach dem Beben bin ich schon ziemlich früh mit dem Kinderwagen durch die Strassen marschiert auf der Suche nach etwas Brot. Die Supermärkte waren ungewöhnlicherweise alle geschlossen, am Plaza Peru fand ich ein Castaňo, geöffnet mit einem spärlichen Angebot und erwarb eine der letzten Packungen Vollkornbrot. Ich wollte dann endlich ins Internet und setzte mich vor ein paar Hotels, in deren Wifi System ich mich zwar einloggen konnte, aber die hatten auch kein Zugang zum Internet. Den ganzen Spaziergang hatte ich Radio im Kopfhörer, nun wollte ich auch ein paar Bilder sehen und suchte eine Zeitung. Ein Big John Laden in Providencia hatte offen und dort kaufte ich den Mercurio. Im Radio gab es eine Live Übertragung aus einem geplünderten Supermarkt in Concepción: Verzweifelte Mütter und Familienväter auf der Suche nach Nahrung und Windeln, bis sich der Reporter einen Typen schnappte, der Elektroartikel aus dem Laden schaffte.

Von da an überschlugen sich die Meldungen über Plünderungen und Überfälle in den Erdbebengebieten. Zeigt sich jetzt, dass Chile doch noch, zum mindestens mental, ein 3. Welt Land ist?
Es gibt immer und überall Idioten, die solche eine Notsituation ausnutzen und mit krimineller Energie versuchen davon zu profitieren. Die Regierung ging zuerst zögerlich und danach mit Entschlossenheit dagegen vor und schickte Militär auf die Strassen, bis die Situation unter Kontrolle war.

Danach zeigte Chile sein wahres, modernes Gesicht: Eine Welle der Solidarität ergriff das Land. Plötzlich standen die Hilfsorganisationen vor den Supermärkten und sammelten unverderbliche Lebensmittel und Hygienartikel ein. Im Fernsehen gab es plötzlich keine Berichte von Supermarktplünderungen mehr, sondern Liveübertragungen aus den Logistikzentren der Hilfsorganisationen, wie Rotes Kreuz oder Un Techo para Chile, bei denen sich immer mehr freiwillige Jugendliche engagierten, um die Spendenflut logistisch zu bewältigen.



Jedes große Unternehmen hat heute, eine Woche danach, seine eigene Initiative gestartet. Gerade läuft der Teleton im Fernsehen, ein Spendenmarathon. Heute am Samstagabend und die ganze Nacht sind die Banken geöffnet, damit die Leute Geld auf die Spendenkonten einzahlen können. Darüber hinaus gibt es viele private Eigeninitiativen, Leute sammeln Hilfsgüter ein und transportieren sie auf eigene Faust in die Notgebiete. Gestern gab es einen Aufruf ins unserem Departamento, heute stehen bereits mehrere Kubikmeter an Hilfsgüter (Lebensmittel, Deckcn, Schlafsäcke, Matratzen, Windeln, etc) im Eingang, zum Abtransport bereit.

Diese Woche gab es auch in Santiago noch Probleme mit der Infrastruktur und Versorgung. Viele Leute hatten keinen Strom, in den Supermärkten blieb das ein oder andere Regal leer und an den Tankstellen stauten sich die Fahrzeuge. Sämtliche Starbucks Cafés in unserer Umgebung blieben geschlossen!!! Die sonst so bequemen Chilenen mussten plötzlich Treppen steigen, weil die Aufzüge nicht funktionierten, begleitet von ständigen Nachbeben. Wir mussten zu Fuss in den 9. Stock, um in unser Büro zu kommen.

Ständig wankte es und wir fragten uns, ob das nun wirklich bebt oder schon die Paranoia einsetzt? Nein, Nachbeben bis zur Stärke 6,1.

Es ist Staatstrauer und vor jedem Appartement Gebäude, öffentlichen Gebäuden und auch Privathäusern, hängen die Chileflaggen auf Halbmast. Aber trotz allem herrscht Solidarität und Aufbruchstimmung und überall die Einstellung, dass wir das gemeinsam schaffen. So etwas habe ich noch nicht erlebt. ¡Vamos a reconstruir Chile! ¡Si, se puede!

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