Samstag, 29. März 2008

Halo

Wie in vielen Ländern haben sich auch in Chile Mobiltelefone rasant verbreitet. Kaum jemand verfügt nicht über ein Celular, bis auf meine Partnerin Antje, die sich immer noch weigert, dieses Kommunikationsmittel einzusetzen. Mir kommt es vor, als ob jeder und ständig seinem Bedürfnis nach fernmündlicher Kommunikation nachkommt, mobil oder übers Festnetz. Das Mobilnetz in Chile ist flächendeckend, selbst in der Metro wird telefoniert, lediglich im Naturpark Huilo Huilo, fern ab der Zivilisation im Süden des Landes, hatte ich bisher keinen Handyempfang. In unserem kleinen Bürohaus, das noch 3 weitere Unternehmen beherbergt, klingelt ständig das Telefon - außer bei uns.
Wir kommunizieren fast nur noch über Email, Messenger und hin und wieder telefonieren wir mit unseren Lieferanten und Kunden über Skype. Ich finde das ständige Anrufen und erreichbar sein behindert eine effiziente und effektive Arbeitsweise. Beim Telefonieren muss man sich schnell in andere Sachverhalte hineindenken, 2 Personen müssen gleichzeitig verfügbar sein und bei uns kommt noch erschwerend hinzu, dass wir in 3 Sprachen kommunizieren. Deshalb konzentriert sich bei uns - auch wegen der Zeitverschiebung - alles auf Emailkommunikation. Dies hat sich als extrem stressmindernd erwiesen und unsere Kunden machen das mittlerweile alle gerne mit.
Wir waren im Februar 3 Wochen in Europa und hatten dadurch die Möglichkeit das erste Mal seit langer Zeit, teilweise das erste Mal überhaupt, mit unseren Kunden in England, Deutschland und der Schweiz persönlich zu sprechen. Jetzt wissen wir auch welches Gesicht und welche Stimme sich hinter den Emails verbirgt.

Was mich bei den Chilenen immer wieder amüsiert, ist die Art und Weise wie telefoniert wird und vor allem wo: Steht man als Fußgänger an der Ampel und beobachtet die vorbeifahrenden Autos, sind nach meiner Schätzung gut ein Drittel der Fahrer am telefonieren – und zwar nicht mit Freisprecheinrichtung, sondern mit einer Hand am Ohr - wohl dem, der über ein Automatikgetriebe verfügt. Neulich hätte ich beinahe einen Fahrradfahrer überfahren. Er kam mir bei Dunkelheit ohne Licht, gegen die Einbahnstraße fahrend entgegen: Eine Hand am Lenker, die andere Hand hielt ein Handy ans Ohr. Als wir vor kurzem abends in der Presidente Errazuriz joggten kam uns ein Jogger entgegen, wild diskutierend an seinem Mobiltelefon. Eine bizarre Situation hatte ich letzte Woche im Supermarkt. Dort war ein Typ mit seiner Frau einkaufen. Während seine schwangere Señora die schweren Getränke Container in den Einkaufswagen hievte, unterhielt er sich mit seinem Kumpel in einer Lautstärke, dass der gesamte Supermarkt an der Konversation teilnehmen konnte. Er konnte bei seinem Gespräch nicht stillstehen, sondern lief in Windeseile hin und her, quer durch den Supermarkt, die Gänge auf und ab. Und irgendwie hatte ich das Gefühl er verfolgt mich. Erst beim Gemüse, dann stand er an der Fischtheke hinter mir, kam mir bei den Nudeln entgegen und rannte mich fast vor dem Weisweinregal um. Das ganze ging 20 Minuten, irre. Da wünscht man sich die schwachen Akkus oder das gute alte analoge Schnurtelefon zurück.

Was mich auch immer wieder erstaunt ist, wie die Chilenen telefonieren. Es ist absolut unüblich, dass sich der Anrufende mit Namen und Anliegen meldet. Ich unterbreche den einfallenden Redeschwall gerne mit der Frage: „Wer spricht und mit wem möchten Sie sprechen.“ Ruft man irgendwo an, meldet sich das Gegenüber meist nur mit einem schwachen „Halo“. Selbst bei großen Unternehmen hat sich das bei uns in Europa mittlerweile nervige: „Firma soundso meine Name ist XY, was kann ich für Sie tun“ nicht durchgesetzt.
Bei den Handygesprächen auf der Strasse, die man unvermeidlich mitbekommt, beobachte ich immer wieder, dass die ersten 15-30 Sekunden draufgehen sich gegenseitig zu identifizieren, zur großen Freude von Movistar und Entel. Ein erleichtertes ‚Ahhh’ beendet diesen Kommunikationsschritt, worauf die nächste Frage meist lautet: „¿Donde estas?“- Wo bist Du? Als ob das so wichtig ist, im mobilen Zeitalter.