Sonntag, 28. Februar 2010

3:34 AM

Wir wurden jäh aus dem Schlaf gerissen. Das Haus schaukelte wie ein Schiff auf rauer See, Antje lief schnell rüber ins Kinderzimmer, um den Kleinen zu holen, man konnte nicht mehr stehen. Wir kauerten zusammen auf dem Fußboden unseres Schlafzimmers bis alles vorbei war.

Es war ein Erdbeben der Stärke 8,0 auf der Richterskala in Santiago. Antje war in Todesangst, während ich erstaunlich ruhig Urvertrauen in die Chilenischen Architekten, Bauingenieure und Statiker hatte. Greg behielt auch die Ruhe und schaute Mama mit großen Augen an. Mein Vertrauen wurde nicht enttäuscht. Es ist unglaublich, wie sich solch ein riesiges Gebäude in dem über 100 Wohnungen sind, schaukeln und verwinden lässt. Keine einzige Fensterscheibe ging zu Bruch.

58 Sekunden waren wie eine Ewigkeit, danach jaulten Alarmanlagen auf, alles Stockdunkel. Mit dem Handy leuchtete ich mir den Weg durch die Wohnung, um eine Taschenlampe zu holen.

Der Kühlschrank stand mitten in der Küche, Putz und Fugenmasse bedeckten den Boden. Im Living lagen zerschellte Weingläser auf dem Boden, neben herunter gefallenen Bilderrahmen.

Als nächstes dröhnten die Dieselaggregate auf, um Strom zu produzieren. Bald hatten wir eine Luft wie auf einem Busbahnhof in unserem Schlafzimmer. Hubschrauber am Himmel. Ich legte mich wieder hin, der Kleine kam zwischen uns, und schon das erste Nachbeben.

Freunde kamen vorbei, um zu schauen ob alles ok ist bei uns. Viele Menschen verweilten auf den Strassen, wir  blieben im Bett, da fühlten wir uns sicherer. Die weiteren Nachbeben habe ich im Schlaf kaum noch mitbekommen, Gregy schlummerte neben mir und Antje war bis 6:00 hell wach.

Am nächsten Tag haben wir erst Mal aufgeräumt und sauber gemacht. Es gibt erhebliche Risse und Löcher im Putz, Gipspartikel und Scherben überall. Strom und Wasser gab’s wieder, das Mobilnetz sehr instabil, kein Fernsehen, kein Internet. Wir wussten also gar nicht was im Land vor sich ging… und immer wieder Nachbeben.

Als zuhause wieder alles klar Schiff war, bin ich dann mit dem Kleinen im Kinderwagen losmarschiert, um zu schauen, ob die Leute aus dem Barrio genauso glimpflich davon gekommen sind wie wir. Es gab kaum Verkehr auf den Strassen, die Ampelanlagen waren ausgeschaltet, die Geschäfte geschlossen. In der Nacht konnte ich mein Mobiltelefon als Taschenlampe einsetzen, nun nutzte ich es als Radio, Telefonieren war immer noch nicht möglich. Über ADN erfuhr ich wie schrecklich diese Tragödie das Land getroffen hatte. Ich lief gut 2 Stunden durch die Strassen und war danach im Detail informiert. Es war ein Sommertag, wenig Leute auf der Strasse und alles irgendwie ziemlich entspannt und gelassen. In Providencia und Las Condes konnte ich kaum Schäden erkennen. Es ist beeindruckend wie diese Häuser diese Kräfte weggesteckt haben. Viele Menschen im Land hatten leider nicht so viel Glück wie wir und denen gilt jetzt die Aufmerksamkeit. Fuerza Chile!

Donnerstag, 11. Februar 2010

Die Prüfung

Dann bin ich am nächsten Tag erneut zur Führerscheinstelle. Selma war glücklich mit dem tollen Stempel des Notars und los ging die Mühle. Die Führerscheinstelle ist von der Raumordnung prozessorientiert linear angeordnet und durchorganisiert wie ein Schlachthof J

Erst die Tramites im Eingangsbereich, wie immer: Nummer ziehen, Daten erfassen, Unterschrift, Fingerabdruck Scanner und ein Dokument, um zur Kasse zu gehen.

An der Kasse, für schlappe $ 24.000 (ca. 30 EUR) kurz die Kreditkarten durchziehen und eine Stelle weiter. Digitales Foto aufnehmen, ging ruck zuck und weiter in den nächsten Raum zum Test der körperlichen Funktionstüchtigkeit.

Ein großer Flatscreen sagt einem zu welchem Modul man gehen muss. Dort saß dann original Patty (Marge Simpsons Schwester) und machte mit mir Reaktionstest, Geschicklichkeitstest, Seh- und Hörtest.

Danach musste ich zum Doc. Tatsache, in der Führerscheinstelle sitzen mehrere Mediziner im weißen Kittel. Ich dachte, jetzt muss ich gleich husten, aber die Ärztin fragte mich lediglich nach Krankheiten, ob ich regelmäßig Medikamente nehme, oder ob ich Alkohol trinke.

Dann weiter zum nächsten Raum, die theoretische Prüfung: Abgedunkelter, klimatisierter Raum mit PCs. Die Lernsoftware wählt 35 Fragen aus dem 280-Fragenkatalog aus und gibt einem 35 Minuten Zeit.

34 von 35 Richtige, nur eine übers Parken auf der Landstrassen bei Nacht hatte ich versäbelt. So nun dachte ich LISTO (fertig!). Ich ging raus und schon kam mir ein Typ entgegen, „Ok, dann machen wir die praktische Prüfung. Wo steht dein Auto?“

Ich war mit dem Fahrrad da und wies ihn darauf hin, dass in den Instruktionen auf der Website steht, dass Ausländer die in Besitz einer gültigen ausländische Fahrerlaubnis sind, keine praktische Prüfung machen müssen. Ich zeigte ihm den Ausdruck, hatte ich dabei, aber ohne notarielle Beglaubigung… Ja, die Regeln hätten sich geändert seit letztem August. „Warum habt ihr es nicht auf der Website aktualisiert?“ fragte ich, um ein „Das steht auf der Website?“ zu hören.

Mir platze der Kragen: ‚Ich war jetzt 5 Mal hier, ich fahr jetzt nicht nach Hause mein Auto holen. Es gibt 2 Alternativen: 1. Ihr stellt mir ein Auto zur Verfügung oder 2. Ich geh zu Selma, äh Antonietta, Don Rodrigo, oder gleich zum Bürgermeister, und irgendwer wird mir den Führerschein genehmigen, und wenn nicht schreib ich eine Beschwerde in reclamo.cl!“ (das ist das Bürgerbeschwerdeportal). 5 Minuten später stand ein Auto mit Prüfer zur Verfügung. Ein Chevy Microfahrzeug aus GMs Koreanischen Fabriken, halb so groß wie ein Smart. Ich bin dann mit dem Ei losgefahren, ein Mal um den Block, nur Einbahnstrassen, 4 Mal links abbiegen, keine Fußgänger an grünen Ampeln oder Zebrastreifen, die man, ohne dass sie es erwartet hätten, die Strasse überqueren hätte lassen können; einmal kurz vorwärts einparken, und schon hatte ich die finale Unterschrift. Ich durfte den Führerschein dann 2 Stunden später nach der Mittagspause abholen. Also doch noch mal in die Führerscheinstelle.

Jetzt habe ich das Ding endlich in meinem Geldbeutel und brenne darauf es vorzuzeigen. Morgen fahr ich auf der Ruta 5 ohne Licht, dann halten sie mich bestimmt an. In Chile muss auf Autobahnen und Landstrassen auch am Tage das Abblendlicht eingeschalten sein. Darüber gab es keine Frage im 280-Fragenkatalog und erstaunlicherweise halten sich fast alle dran.

Mittwoch, 10. Februar 2010

Führerschein in Chile

Ich habe jetzt schon über ein Jahr nichts mehr in diesem Blog veröffentlich. Jetzt nach Babypause und jeder Menge neuer Eindrücken werde ich wieder öfter über unser Leben in Chile schreiben.

Ich habe vor ein paar Wochen herausbekommen, dass ich schon seit einiger Zeit faktisch ohne Führerschein in Chile unterwegs bin. Bisher hatte ich einen Internationalen Führerschein, ausgestellt in Freiburg im Breisgau, der im Oktober ablief.  Ich fragte bei der Botschaft nach, was man denn in Chile als ausländischer Bürger mit unbeschränkter Aufenthaltsgenehmigung als Führerschein braucht. Ja ich solle mich an die jeweilige Comuna wenden.

Ich hab das verdrängt und fuhr mit dem blauen EU Führerschein munter weiter, bis ich Sonntagabends auf dem Weg zum Sodimac in eine Polizeikontrolle kam. Der freundliche Carabinero erklärte mir, dass durch mein Status der  Permancia Definitiva, den ich seit Mitte 2008 habe, ich einen chilenischen Führerschein brauche und ließ mich weiterfahren.

Also doch zur Municipalidad de Providencia in die Führerscheinstelle, hat mich irgendwie an Patty und Selma von den Simpsons erinnert.

Dort erklärte mir Antonietta, dass ich folgendes brauche:
  • Ausländischer Führerschein - kein Problem
  • Gültiges Carnet – kein Problem
  • Wohnsitz in Providencia – ja klar
  • Theoretischer Test und noch ein paar medizinische Examen – naja, ich hab ja sonst nix zu tun
  • Nachweis über einen Schulabschluss – WAS!!!!

Ja in Chile darf man nur einen Führerschein machen, wenn man mindestens 8 Schuljahre nachweisen kann. Die Dame erklärte mir, ich müsse zur deutschen Botschaft gehen, ein Abschlusszeugnis beglaubigen lassen, dann zum Ministerio de Relaciones Externos, noch einen Stempel abholen und schon fertig. Leichter gesagt als getan. Ich hatte überhaupt keine Zeugnisse mitgenommen nach Chile. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich sie jemals wieder brauchen werde, schon gar nicht für einen Führerschein. Also hab ich meine Eltern angerufen, damit sie mir gleich mein Uni Zeugnis schicken- Könnte ja sein, dass sie mein Abizeugnis nicht anerkennen.

Das Zeugnis wurde dann auf die lange Reise geschickt, genug Zeit um die 280 Prüfungsfragen zu studieren. Nicht nur dass ich dadurch meinen Spanischwortschatz um die Übersetzungen für Kupplung, Warnblinkanlage und Abblendlicht erweitern konnte, es gab mir auch detaillierte Kenntnisse von Regeln, die im Chilenischen Straßenverkehrsrecht gelten, von denen ich nie geglaubt hätte, dass sie tatsächlich existieren. Das Verhalten der Verkehrsteilnehmer spricht eine ganz andere Sprache:
  • Es gilt tatsächlich Rechts vor Links – Wer sein Recht in Anspruch nimmt begibt sich in Lebensgefahr
  • Am Steuer eines fahrenden Fahrzeuges, darf man nicht telefonieren - Unglaublich, aber es ist tatsächlich verboten! Die Nichttelefonierer sind eine Randgruppe.
  • Beim Rechtsabbiegen an einer Ampel müssen die Fußgänger durchgelassen werden - Bisher hab ich das nur mit Kinderwagen erlebt
  • An einem Zebrastreifen muss man anhalten und wartende Fußgänger die Fahrbahn überqueren lassen - Auch nur mit Kinderwagen
  • Innerorts Höchstgeschwindigkeit 50 km – Hält man sich dran blended der Hintermann auf und überholt wenn’s geht rechts.

Das Zeugnis kam an, gleich hin zur Botschaft. Nein, deutsche Zeugnisse werden nicht von der Botschaft in Chile legalisiert, nur Chilenische für Deutschland. Ich solle mich an das Chilenische Konsulat in Frankfurt wenden. Ja die machen das, aber ich müsste zuerst eine Beglaubigung des für die Universität zuständigen Regierungspräsidiums anfertigen lassen, in meinem Fall Saarbrücken.

Das kann ja wohl nicht sein, ich will ja nicht studieren, sondern lediglich Autofahren, also nochmal hin zur Führscheinstelle und hab Selma, äh Antonietta mein Leid geklagt. Ich solle mich beim zuständigen Justiziar im Gebäude gegenüber beschweren.

Also hin zu Don Rodrigo und ihm die Story erzählt. Er gleich überall rumtelefoniert. Er hatte Langeweile, nix los im Februar. Alle Versuche scheiterten, Chile hat kein Abkommen mit der EU, sondern nur mit Spanien, so dass sie mir meinen EU Führerschein nicht einfach umschreiben können. Es fehlte der legalisierte Nachweis über einen Schulabschluss. Auch meine Anmerkung, wie ich denn sonst in der Lage wäre, eine theoretische Prüfung als Deutscher auf  Spanisch ohne Schulbildung zu absolvieren, half ihm nicht weiter.

Er durchkramte meine Unterlagen, ich hatte vorsorglich alles worauf ein Stempel war mitgebracht, und da, da war es. In Chile gibt es immer einen Weg. Auf einem Antragsformular (eine Kopie) stand im Feld Profesión: Ingeniero. Ja ich brauch nur das legalisieren zu lassen und ciao.

Das war ein Antragsformular für die unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Damals 2006 als ich ankam, bei irgendeinem Amt fragte man mich nach meinem Beruf.  Ich sprach kaum Spanisch, wie erklärt man da Diplom.Kaufmann. Die Dame versuchte es dann mit verschiedenen Begriffen, Ingeniero hatte ich verstanden und sagte, jooh nimm das. Wohlgemerkt, ohne irgendein legalisiertes Dokument.

Nun der letzte Akt: Notario. Auch wenn es sich nur um eine Kopie handelte, der Notario hat damit kein Problem, Stempel vorne, Stempel hinten, Unterschrift, gestanzter Stempel, 1000 Peso und schon hatte ich einen für Chile gültigen Schulabschluss.

Die Tramites sind erledigt, hier geht's weiter zur Führerscheinprüfung